Eine neue Ära für Tech-Aktien - 5 Lehren aus der Causa Netflix

Eine neue Ära für Tech-Aktien - 5 Lehren aus der Causa Netflix

Die ehemaligen Börsenstars aus dem Tech-Sektor sind endgültig auf dem harten Boden der Realität angekommen

Die Berichtssaison ist vorbei, und was bleibt ist vor allem eines: Die ehemaligen Börsenstars aus dem Tech-Sektor sind endgültig auf dem harten Boden der Realität angekommen. Besonders der Fall Netflix steht prototypisch dafür, wie „big tech“ die Gunst der Anleger verspielt hat. Nach einem schwachen ersten Quartal verlor der Streaming-Riese an nur einem Tag über ein Drittel seines Börsenwerts. Seit Jahresbeginn sind sogar mehr als 60 Prozent des Börsenwerts dahingeschmolzen. Was können Anleger daraus lernen?

Die Geschichte von Netflix ist zwar an sich schon faszinierend, aber sie hält auch Lehren für die Märkte im Allgemeinen und für Technologieaktien im Besonderen bereit. Hier sind fünf wichtige Erkenntnisse: 

1. Der Anstieg der Lebenshaltungskosten wird unterschätzt. Die in den letzten Monaten gestiegenen Kosten, die schon vor dem Anstieg der Energiepreise im Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt zu beobachten waren, bedeuten, dass die Verbraucher weniger verfügbares Einkommen haben. Gleichzeitig hält die Lohninflation nicht mit den steigenden Kosten Schritt, auch wenn die Entwicklung am Arbeitsmarkt insgesamt ordentlich erscheint. Die Verbraucher müssen also irgendwo sparen und werden weiterhin Kompromisse eingehen müssen: Urlaub und Gourmetkaffee oder Gadgets und Abonnements?

 2. Der pandemiebedingte Schub hat sich abgeschwächt. Corona führte zu einem massiven Anstieg der Digitalisierung, wovon viele Technologiewerte direkt profitierten. Sobald die Impfkampagnen griffen, begannen jedoch einige Coronagewinner ihren Glanz zu verlieren. Kombiniert man dies mit der Krise der Lebenshaltungskosten, erhält man einen besonders
 gefährlichen Cocktail für einige der Firmen.  

3. Profitabilität zählt. Der Technologiesektor, insbesondere die Disruptoren, haben in den letzten Jahren davon profitiert, dass die Börsen begonnen haben, die Muster des Private Equity-Bereichs zu übernehmen: Sie zahlten viel für Unternehmen, die ihre Umsätze schnell steigern können, selbst wenn sie unprofitabel sind oder in naher Zukunft keine Gewinne erwirtschaften. Wenn sich das Wachstum, wie jetzt, jedoch abschwächt, wird die Bewertung zu einem
Problem, insbesondere wenn die Zentralbanken den Abzinsungssatz ändern, der für die
 Bewertung ebenfalls entscheidend ist. Folglich sind Geschäftsmodelle und Profitabilität in dieser neuen Ära von größerer Bedeutung.

4. Große Investitionen sind nicht genug. Netflix gab im Jahr 2021 rund 17 Milliarden US-Dollar für Inhalte aus, verlor aber im ersten Quartal 2022 dennoch 200.000 Abonnenten. Der zu erwartende Umsatz des Unternehmens scheint bei etwa 32 Mrd. USD zu liegen (unter der Annahme, dass es kein Wachstum gegenüber dem zweiten Quartal 2021 gibt), so dass weniger Spielraum besteht, um die Ausgaben für Inhalte zu erhöhen, um letztlich die Vision der Unternehmensleitung von 50 Mrd. USD ohne Nutzerwachstum zu erreichen. Lebensmittellieferdienste sind ein weiteres Beispiel dafür, dass Unternehmen viel Geld ausgeben mussten, um Marktanteile zu gewinnen oder ihren Markt zu vergrößern. Auch hier wird das Umfeld schwieriger. Just Eat Takeaway, der europäische Marktführer für Essenslieferungen, plant die Veräußerung von Grubhub nur ein Jahr nach der Übernahme des US-amerikanischen Essenslieferdienstes. Auch andere Akquisitionen, die in der Blütezeit des letzten Jahres
getätigt wurden, erweisen sich als Fehlinvestitionen. Teladoc, das Unternehmen für Telemedizin und virtuelle Gesundheitsfürsorge, musste 6,6 Mrd. USD auf seine jüngsten Übernahmen abschreiben, z. B. die 18,5 Mrd. USD teure Übernahme von Livongo, einem anderen Unternehmen für virtuelle Gesundheitsfürsorge.

5. Wir stehen am Beginn einer neuen Ära für Technologiewerte. In den letzten 10 Jahren waren Technologieunternehmen über Konjunkturzyklen hinweg erfolgreich, weil sie von säkularen Trends wie der Digitalisierung profitieren konnten. Einige Marktsegmente sind aber nun gesättigt, während auch in vielen anderen Segmenten der Wettbewerb zunimmt. In dieser neuen Ära müssen selbst die mächtigsten Technologieunternehmen flexibler sein, sich schnell anpassen und Disziplin in ihrem Vorgehen zeigen. Positiv ist, dass viele Mega-Tech-Unternehmen immer noch über solide Barreserven und gute Geschäftsmodelle verfügen und weiterhin in Innovationen investieren. 

Die Märkte sind nun dabei, sich mit dieser neuen Landschaft nach Corona zu arrangieren, die durch knappere Verbraucher- und Unternehmensbudgets und höhere Kapitalkosten gekennzeichnet ist. Das Jahr 2022 wird für Tech- und Nicht-Tech-Firmen gleichermaßen das Jahr des großen Reset sein.
Und wieder mal wird sich die Spreu vom Weizen trennen, denn nachhaltiges Wachstum fußt gerade in den schwierigeren Zeiten primär auf qualitativ soliden Bilanzen, auskömmlichen Margen und hohen Cash Flows. Auf diese Aspekte sollten Anleger achten und nicht ausschließlich auf die teils teuer erkauften, utopischen Wachstumsraten. Dann haben auch Technologiewerte weiterhin einen mehr als berechtigten Stellenwert im Portfolio und werden auch in Zukunft attraktive Ergebnisbeiträge liefern. 

Robin Beugels, CFA,
Leiter Investment Management MERCK FINCK I A QUINTET PRIVATE BANK
und
Pinaki Das,
Head of Thematic Research at QUINTET PRIVATE BANK 

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