Wenn die US-Notenbank Fed oder die Europäische Zentralbank (EZB) die Leitzinsen senken, horchen Anleger auf. Dass Zinssenkungen unterstützend und in der Tendenz positiv für Konjunktur und auch für Aktienmärkte sind, ist eine Binsenweisheit. Doch wie stark ist dieser Effekt wirklich? Diese Frage stellt sich aktuell umso mehr, da die Fed auf weitere Zinssenkungen in den nächsten Quartalen zusteuert, nachdem sie seit längerer Zeit im September bereits um 25 Basispunkte gesenkt hatte.
US-Aktienmärkte legen nach Zinssenkungen regelmäßig zu
Empirische Untersuchungen der Muster an den Aktienmärkten belegen: Aktienmärkte reagieren in der Regel positiv auf Zinssenkungen, insbesondere wenn diese überraschend kommen oder Teil eines geldpolitischen Lockerungszyklus sind. Unsere eigenen Analysen über die letzten 30 Jahre bestätigen im Kern diese Untersuchungen. So stieg beispielsweise der S&P 500 nach einer ersten Zinssenkung im Schnitt um 5–10 % innerhalb von 6–12 Monaten – vorausgesetzt, die Wirtschaft befand sich nicht in einer Rezession. In Europa fällt die Reaktion oft verhaltener aus, da die EZB stärker auf Preisstabilität als auf Wachstum fokussiert ist.
Wichtig ist es deswegen, auch die Erwartungen der Marktteilnehmer zu berücksichtigen. Wenn Zinssenkungen bereits eingepreist sind, fällt die Marktreaktion oft schwach aus. Auch der jeweilige konjunkturelle oder geopolitische Kontext ist wichtig: In Zeiten hoher Unsicherheit oder geopolitischer Spannungen kann die Wirkung von Zinssenkungen verpuffen.
Defensive Branchen profitieren besonders
Besonders profitieren defensive Sektoren wie Konsumgüter, Gesundheitswesen und Versorger von Zinssenkungen. Sie gelten als stabil und profitieren von höherer Kaufkraft und sinkenden Finanzierungskosten. Auch Immobilien und Einzelhandel zeigen oft positive Reaktionen. Weniger eindeutig ist die Lage im Bankensektor: Zwar steigt die Kreditnachfrage, doch sinkende Zinsmargen belasten die Profitabilität klassischer Geschäftsbanken. Rohstoff- und Energiesektoren reagieren oft schwächer, da sie stärker von globalen Faktoren beeinflusst werden.
Die einzelnen Sektoren reagieren zudem mit unterschiedlicher zeitlicher Verzögerung auf Zinssenkungen: Defensive Sektoren (wie Versorger, Gesundheitswesen) schneiden direkt nach der ersten Zinssenkung oft besser ab (0-3 Monate). Mittelfristig (3–12 Monate) entwickeln sich vor allem zyklische Sektoren (wie z. B. Technologie, Konsumgüter) oftmals deutlich besser, da die realwirtschaftliche Aktivität durch die Zinssenkung stimuliert wird und sich dort positiv auswirkt. Historisch gesehen folgt auf eine erste Zinssenkung oft eine Serie weiterer Senkungen, was die Märkte zusätzlich stützt.
Konjunktur ist wichtiger als Markt-Sentiment
Allerdings kann sich der Effekt abschwächen oder sogar umkehren, wenn Zinssenkungen als Zeichen einer allzu schwachen Konjunktur interpretiert werden. In Rezessionen reagieren Märkte zudem oft zurückhaltend oder negativ, trotz Zinssenkungen. So geschehen in Krisenzeiten wie der Finanzkrise (2008) oder dem Corona-Schock (2020). Hier sanken die Zinsen deutlich, während der Aktienmarkt zunächst weiterfiel, sich aber später erholte.
Zinssenkungen sind also kein Garant für steigende Aktienkurse – aber sie schaffen ein Umfeld, in dem Investoren risikofreudiger agieren. Wer die geldpolitischen Signale richtig deutet, kann davon profitieren – vorausgesetzt, er kennt die Mechanismen und die Branchen, die davon am meisten profitieren.
Marc Decker
Co-Leiter Aktien I A Quintet Private Bank