Die vergangenen Monate haben wieder einmal gezeigt, wie sehr es in die Irre führen kann, sich auf vermeintliche Weisheiten des Investierens zu verlassen. So gelten beispielsweise Unternehmen aus dem Gesundheitssektor und insbesondere aus der Pharmabranche in der Regel als defensive Werte. In schwierigen Marktphasen sollen sie für Stabilität im Portfolio sorgen, so die Theorie. Wer mit diesem Kalkül in Pharmawerte investiert war, hat in den ersten Monaten der Trump-Präsidentschaft sein blaues Wunder erlebt.
Die Medikamentenhersteller standen zuletzt immer wieder unter besonderer Beobachtung der Märkte. Neben der üblichen Dosis an unternehmensspezifischen Nachrichten belasteten insbesondere die Zollankündigungen von Präsident Trump sowie die Aussichten auf eine schärfere Regulierung der Medikamentenpreise in den USA die Aktienkurse in der Branche. Insgesamt konnten Unternehmen des Sektors Healthcare im ersten Quartal 2025 eine bestenfalls gemischte Performance zeigen, wobei einige Unternehmen starke Ergebnisse präsentierten, während andere mit Herausforderungen konfrontiert waren. Dies führte zu teils heftigen Kursschwankungen. Wer schlechte Nachrichten hatte, wurde überdurchschnittlich hart von den Märkten abgestraft.
Viele Pharmaunternehmen, insbesondere die europäischen, verkaufen und exportieren Medikamente und Medizinprodukte in die USA. Die USA gelten als einer der ineffizientesten Gesundheitsmärkte der Welt, zugleich aber auch als besonders lukrativ für Pharmaunternehmen.
Daher spielt der dortige Markt traditionell eine erhebliche Rolle, vor allem auch für europäische Pharmaunternehmen. Schaut man auf die Vergangenheit, also die Gewinnentwicklung im 1. Quartal, waren die Zahlen auf Sektorebene unter dem Strich nicht enttäuschend und nahe an den Erwartungen des Marktes. Allerdings bezogen sich die Geschäftsentwicklungen noch auf den Zeitraum vor den Zollankündigungen und spiegeln damit die Zukunftsaussichten schon allein aus diesem Grund nur unzureichend wider.
Die Gewinnprognosen für 2025 werden jedoch durch die erwarteten Zölle beeinflusst, was sich zumindest vorübergehend negativ auswirken sollte. Der überwiegende Teil der Unternehmen hat allerdings auch Produktionsstätten in den USA und wird die Produktion für den US-Markt in ihre US-Fabriken verlagern. Dies sollte vielen Unternehmen einen bleibenden Schaden ersparen, doch zwischenzeitliche Bremsspuren werden in den Bilanzen zweifelsohne zu erkennen sein. Denn: Die vollständige Umsetzung von Produktionsverlagerungen wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Dies steht aber den guten längerfristigen Wachstumsaussichten nicht im Weg.
Ein weiterer potenziell erheblicher Einflussfaktor ist die Regulierung der Medikamentenpreise. Präsident Trump hat das Ziel ausgegeben, die hohen Arzneimittelpreise in den USA zu senken. Die Preisgestaltung von Medikamenten, insbesondere im Rahmen der kürzlich von Präsident Trump erlassene Meistbegünstigungsverordnung (MFN) Executive Order (EO), sorgt für große Unsicherheit und Mangel an Transparenz. Auch andere US-Administrationen hatten in der Vergangenheit ohne Erfolg versucht Entsprechendes umzusetzen. Sie scheiterten jedoch an der hohen Komplexität des Gesundheits- und Pharmamarktes und auch an der großen politischen Macht und Lobbyarbeit der Pharmaunternehmen.
Neben diesen unmittelbaren Herausforderungen kämpft die Branche auch mit generellen Problemen wie die Sicherstellung von Produktionssicherheit, auch im Zusammenhang mit Lieferkettenproblemen, Fachkräftemangel sowie Wettbewerbsdruck durch Generika und Biosimilars. Darüber hinaus zwingen steigende Forschungsausgaben die Unternehmen zu Innovation und strategischer Fokussierung. Dennoch kann der Sektor eine Reihe von Stärken für sich ins Feld führen, die ein Investment interessant erscheinen lassen: Der richtige Einsatz von Digitalisierung und KI kann beispielsweise entscheidend für die zukünftige Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen sein, zu kompetitiven Vorteilen führen und langfristig unterstützend für Margen sein. Wer hier vorn ist, sollte überdurchschnittlich profitieren.
Hinzu kommt: Global ist die Nachfrage für Medikamente und Behandlungen für chronische Krankheiten ungebrochen. So bestehen Chancen durch steigende Nachfrage nach Medikamenten gegen Diabetes, Fettleibigkeit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Durch Biotechnologie und den Einsatz der mRNA-Technologie sowie weiteren Entwicklungen beim Abnehmhormon GLP-1 entstehen neue Märkte für personalisierbare Therapien. Auch die alternde Bevölkerung in den entwickelten Ländern unterstützt den Trend hin zu steigender Nachfrage nach Gesundheitsdienstleistungen und Pflegeprodukten.
Auch die Regulierung könnte sich noch als positiver Einflussfaktor erweisen. Hier könnten beschleunigte Zulassungsverfahren eine schnellere Kommerzialisierung innovativer Therapien ermöglichen. Das regulatorische Umfeld scheint sogar konstruktiver sein, als es derzeit von vielen Anlegern wahrgenommen wird, insbesondere im Hinblick auf die FDA, die US-Behörde für die Zulassung von Medizinprodukten.
Insgesamt überwiegen für uns daher die Chancen klar die Risiken des Sektors und lassen auf mittlere bis lange Frist Neuengagements im Sektor attraktiv erscheinen. Gerade diversifizierte Geschäftsmodelle scheinen besser gegen makroökonomische Herausforderungen positioniert zu sein. Statt hoch riskanter Einzelwetten auf wachstumsstarke Lösungsanbieter für einzelne Medikamente oder Lösungen sind viele der Schwergewichte auf mittlere Sicht vermutlich die bessere Wahl – zumindest für Anleger, die von den strukturellen Wachstumstrends des Sektors profitieren wollen und bereit sind, durch kurzfristige und oft politisch getriebene Volatilität hindurchzuschauen.
Marc Decker
Co-Leiter Aktien
Quintet Private Bank