Rüstungsaktien haben in den vergangenen Wochen teils kräftige Rücksetzer erlebt: Europäische Titel wie Rheinmetall, Renk und Hensoldt haben seit ihren Oktober-Höchstständen bis zu 40 % verloren – nachdem sie zuvor um 90 bis 160 Prozent gestiegen waren. Die starke Kursentwicklung im Vorfeld hat den Sektor anfällig für Korrekturen gemacht. Für die fundamentale Bewertung ändert sich dadurch jedoch wenig: Die geopolitische Lage und die aktuellen NATO-Beschlüsse sprechen weiterhin für eine anhaltend hohe Nachfragedynamik, was die jüngste Korrektur aus Marktsicht eher zu einer Einstiegsgelegenheit macht.

Deutschland verfehlt die NATO-Vorgabe, Munitionsvorräte für mindestens 30 Kampftage vorzuhalten, seit Jahren deutlich: 20.000 verfügbare 155-mm-Granaten stehen einem Zielwert von 230.000 gegenüber. Selbst bei maximalem Produktionshochlauf dürfte es fünf bis sieben Jahre dauern, diese Lücke zu schließen. Ähnlich angespannt ist die Versorgungslage bei komplexen Waffensystemen und Großgerät. Die Industrie kann damit über das gesamte Jahrzehnt hinweg mit einem klar planbaren Nachfragepfad rechnen.

Die Profitabilität ist hoch: Während Kleinmunition kaum Marge bringt, erzielen Hersteller bei Großkalibern operative Margen von bis zu 30 % – Werte, die im klassischen Industriebereich selten sind. Gleichzeitig bleibt die geopolitische Großwetterlage volatil: Strategische Kurswechsel in Washington und gescheiterte diplomatische Initiativen machen eine schnelle Entspannung unwahrscheinlich.

Bewertung: Europa teuer, USA stabiler

Der europäische Sektor handelt, gemessen am MSCI Europe Aerospace & Defence, aktuell bei einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von rund 34,8. US-Werte liegen deutlich darunter: Die großen US-Konzerne („Defense Primes“, ohne Boeing) kommen im Durchschnitt auf ein KGV von etwa 26,5. Einzelwerte wie Lockheed Martin oder Northrop Grumman bewegen sich im Bereich langfristig stabiler Bewertungsbandbreiten und erscheinen im Vergleich sogar günstig.

Während die USA seit Jahren von kontinuierlichen Verteidigungsbudgets profitieren, steht Europa vor einem strukturellen Investitionszyklus: Bis 2028 sollen über 800 Milliarden Euro in Verteidigungsausgaben fließen. Das spricht langfristig für europäische Werte – auch wenn sie kurzfristig volatiler reagieren können, insbesondere bei Stimmungswechseln und politischen Signalen.

Marktdynamik: viele Retail-Investoren, hohe Ausschläge

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist viel Kapital von Privatanlegern – direkt oder über Fonds und ETFs – in den Sektor geflossen. Dieser Trend verstärkte sich im laufenden Jahr. Ein hoher Anteil solcher „schwachen Hände“ führt dazu, dass bereits kleine Stimmungskorrekturen zu überproportionalen Kursausschlägen führen. Die jüngsten Rücksetzer sind daher fundamental kaum begründet.

Was bedeutet das für Investoren?

Für langfristig orientierte Anleger eröffnet die Korrektur eine interessante Einstiegsgelegenheit:

  • US-Werte für Anleger, die Stabilität suchen
  • Europa für Anleger mit höheren Wachstumsambitionen
  • Gestaffelte Käufe oder Sektor-ETFs zur Risikostreuung

Der strukturelle Nachholbedarf, die geopolitische Unsicherheit und die hohen Margen machen Rüstungsunternehmen zu strategischen Gewinnern der kommenden Jahre. Die aktuelle Bewertungskorrektur könnte sich als günstiges Einstiegsfenster erweisen – vorausgesetzt, Anleger bringen Geduld und Risikobewusstsein mit.

 

Über den Autor: Marc Decker ist Co-Leiter Aktien bei der europaweit agierenden Quintet Private Bank, zu der die deutsche Privatbank Merck Finck gehört. Im Blitzlicht der Woche kommentiert der Experte regelmäßig aktuelle Entwicklungen an den internationalen Aktienmärkten.

 

 

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